Frieder Vogelmann
Kritische Theorie(n). Ein Workshop mit Martin Saar
Frankfurt am Main/online
20./21. November 2020
In seinen Reflexionen auf Drastik und auf die Gegenwärtigkeit von Philosophie hat Martin Saar begonnen, seiner philosophischen Arbeit eine eigene Gestalt zu geben, die weder in den ideengeschichtlichen noch in den systematischen Referenzen seiner Arbeiten aufgeht.
Beide, Drastik wie Vernunft, haben in den Massenmedien des postmodernen juste milieu eine denkbar schlechte Presse.
Dietmar Darth, Die salzweißen Augen.
Vierzehn Briefe über Drastik und Deutlichkeit (2005), 79
Drastisch werden bedeutet, gewisse Grenzen und Beschränkungen gerade nicht zu respektieren, sondern aufzuheben.
Martin Saar, »Zu viel. Drastik und Affekt«, 20
Drastische Kritik benennt
»echte« Probleme und Gefahren, die allerdings in der Begriffs- und Sichtbarkeitswelt, wie sie besteht, noch nicht artikulierbar und sichtbar sind, und dazu braucht es drastische Mittel; und sie sind zugleich Spekulationen, Imaginationen von möglichen Alternativen, Ausbrüchen, Überwindungen.
Martin Saar, »Drastische Politische Theorie«, 2
Diese andere kritische Tradition [stellt] die folgende Fragen […]: Was ist die Gegenwart? Was ist das gegenwärtige Feld unserer Erlebnisse? Was ist das gegenwärtige Feld möglicher Erlebnisse?
Michel Foucault, Die Regierung des Selbst und der anderen.
Vorlesung am Collège de France 1982/83 (2009), 39.
Gegenwart als… | …Resultat der Vergangenheit | …Absprung in die Zukunft |
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affirmativ | traditionelle Philosophie | futuristische Philosophie |
kritisch | ideologiekritische Philosophie | revolutionäre Philosophie |
Radikal gegenwärtig zu philosophieren bedeutet für diese Form von Immanenzphilosophie, die eigene Situiertheit einzusehen und praktisch anzuerkennen in den eigenen Äußerungen, die ihre Zeit und ihren Ort nicht verleugnen können.
In der Vernichtung der Frage bewährt sich erst die Echtheit philosophischer Deutung und reines Denken vermag sie von sich aus nicht zu vollziehen: darum zwingt sie die Praxis herbei.
Theodor W. Adorno, »Die Aktualität der Philosophie« (1931), 338 f.
Die Drastikerinnen und Drastiker […] dramatisieren absichtlich und absichtsvoll, aber nicht, um der Realität und Gegenwart etwas erfundenes entgegenzusetzen, sondern [um] etwas über diese Realität zu sagen, was nicht leicht sichtbar, nicht leicht skandalisierbar und noch nicht ganz thematisierbar ist. Der Abstand, den sie zur Realität einnehmen, ist keine Ausflucht, sondern die Distanz, die von der Zuspitzung und Überspitzung erzeugt wird.
Martin Saar, »Drastische Politische Theorie«, 14
[Demokratie] ist keine Regierungsweise, sie zeichnet kein kollektives Subjekt aus, und sie löst keine gesellschaftlichen Probleme. […] Damit ist sie, strenggenommen, keine Politik, sondern etwas anderes.
Martin Saar, »Gegen-Politik. Zur Negativität der Demokratie« (2018), 292