Tagungsplakat

Verantwortung

Mein 2013 abgeschlossenes Promotionsprojekt begann mit der einfachen Feststellung, dass es heute eine selbstverständliche Norm zu sein scheint, dass wir verantwortlich handeln sollen. Doch das war nicht immer so – noch vor 200 Jahren war »Verantwortung« ein marginaler Rechtsbegriff. Was bedeutet die steile Karriere von Verantwortung für unser Denken und Handeln? Was geschieht, wenn Verantwortung in der Arbeitswelt oder in der Kriminalpolitik zu einem verlangten Selbstverhältnis ohne substanzielle Handlungsmacht wird, während die Philosophie Verantwortung an diese Bedingung knüpft?

Nun hat die rasante Karriere von »Verantwortung« diese selbst nicht unverändert gelassen. Im Bann der Verantwortung analysiert daher sowohl die soziologische Diskussionen um die »Subjektivierung der Arbeit«, politikwissenschaftliche wie soziologischer Untersuchungen des »aktivierenden Sozialstaats«, kriminologischer Diagnosen der sogenannten »Responsibilisierungsstrategie« und rechtstheoretische sowie -ethnologische Studien von Strafrechtshauptverhandlungen. Dabei zeigt sich detailliert, dass die in der Philosophie als unproblematische Bedingung für den Gebrauch von Verantwortung vorausgesetzte Handlungsfähigkeit von Verantwortungsträger_innen in neueren Verwendungen von Verantwortung gerade nicht mehr notwendig ist. In diesem ersten Schritt dienen also die einer philosophischen Fragestellung gemäß ausgewählten sozialwissenschaftlichen Forschungsergebnisse der Verunsicherung philosophischer Verallgemeinerungen.

Von dieser Verunsicherung ausgehend demonstriert die Geschichte von »Verantwortung« in den philosophischen Reflexionen, dass und wie die begriffliche Verschmelzung von Handlungsfähigkeit und Verantwortung im Laufe des 20. Jahrhunderts überhaupt erst entstanden ist. Zugleich kann anhand dieser Begriffsentwicklung die Kontinuität eines spezifisch strukturierten, verantwortlichen Selbstverhältnisses nachgewiesen, die dem Begriff der Verantwortung seine Stabilität verleiht: Verantwortliches Subjekt zu sein bedeutet Souveränität durch die Objektivierung von Machtbeziehungen zu erkaufen. Die Kritik der Arbeit gilt sowohl diesem Selbstverhältnis als auch der philosophischen Blindheit für die Auswirkungen ihrer Reflexionen auf Verantwortung: Weil Verantwortung zunehmen gebraucht wird, um Normativität als ureigenes Gebiet der Philosophie zu explizieren, ist sie attraktiv genug, um die Selbstobjektivierung zu übersehen oder zu leugnen.

Der Durchgang durch die philosophischen Reflexionen auf Verantwortung hat zudem eine Fülle von Einzelergebnissen erzielt, von denen ich einigen bereits weiterführende Studien gewidmet habe, etwa dem Verhältnis von Verantwortung und Pflicht, der Juridifizierung moralphilosophischer Begriffe und Argumente sowie der Interdependenz von politischer und moralischer Begriffsentwicklung.