Die Wirksamkeit des Wissens. Eine politische Epistemologie
Dieses Buch schlägt vor, unsere Perspektive auf Wissen und sein Verhältnis zur Subjektivität zu verändern, um die eigenständige Wirksamkeit von Wissen in den Blick zu bekommen. Zentral ist dabei, Wissen sowohl als wahrheitsbezogen als auch als wirksam zu begreifen, also weder die alethische noch die dynamische Dimension von Wissen zu vernachlässigen.
Am Rande war und ist diese Idee oft zu finden. Wie ich im ersten Teil des Buches in drei philosophiegeschichtlichen Lektüren herausarbeiten werde, ist die Existenz der Annahme, es gäbe wirksames Wissen in dem Sinne, dass die Kraft dieses Wissens nicht den Subjekten entspringt, die es wissen oder lernen, durchaus geläufig. Wir finden sie sogar dermaßen häufig in der Philosophiegeschichte, dass sie auszublenden bedeuten würde, das philosophische Archiv bedenklich eingeschränkt zu konsultieren. Ich gehe nur auf drei auch für meine systematischen Absichten interessante Fälle ein, in denen uns diese Annahme von der Existenz wirksamen Wissens begegnet: in Platons Dialogen, in der ersten Generation der Kritischen Theorie und in der zeitgenössischen analytischen politischen Philosophie.
Was gewinnt man, wenn man die randständige Annahme, es gäbe eigenständig wirksames Wissen, ins Zentrum rückt? Mit dem umfassenderen Verständnis von Wissen, das dieses als aktive Kraft begreift, erschließen sich ungewohnte, aber erhellende Perspektiven, so argumentiere ich im zweiten Teil des Buchs, beispielsweise auf das Verhältnis von Wahrheit und Politik. Wenn Wissen – das ja an Wahrheit gebunden ist – von sich aus wirkt, kann Wahrheit nicht außerhalb politischer Kämpfe lokalisiert und diesen entgegengesetzt werden, sei’s erfreut, endlich einen unpolitischen Halt gefunden zu haben, sei’s besorgt über die apolitische Diktatur von Wahrheit. Auch die Debatte um die Begriffe von Kritik kann nicht unbeeinflusst von den neuen epistemologischen Grundlagen bleiben, die mit dem Begriff wirksames Wissen erschlossen werden. Er erlaubt eine Pluralisierung des Kritikbegriffs und die Ausarbeitung der Form emanzipierender Kritik, die eine spezifische Art wirksamen Wissens schafft, das gegen sein eigenes Wahrheitsregime ankämpft. Nicht zuletzt ermöglicht der Begriff wirksamen Wissens eine selbstreflexive Wendung auf die Philosophie: Wie eigentlich kann ihr Wissen beschrieben werden und welche Mittel sind dazu erforderlich? Der Blick auf die Wirksamkeit philosophischen Wissens und die für seine ungestörte Entfaltung notwendigen Exklusionstechniken zeigt, wie Philosophiegeschichte als Genealogie des philosophischen Wissens geschrieben werden kann.
All das steht freilich unter dem Vorbehalt, einen präzisen Begriff von wirksamem Wissen ausarbeiten zu können. Die dazu notwendige Auseinandersetzung mit der (analytischen) Erkenntnistheorie und der Praxistheorie sowie dem Pragmatismus findet im dritten Teil des Buches statt. Keiner der beiden Debatten gelingt es derzeit, Wissen zugleich wahrheitsbezogen und eigenständig wirksam zu denken; sie reduzieren Wissen entweder auf seine alethische oder auf seine dynamische Dimension. Mein Vorschlag, die eigenständige Wirksamkeit des Wissens als schwache Kraft von Wahrheit zu begreifen, wird sich dahingehend zu bewährend haben, dass er sowohl der alethischen als auch der dynamischen Dimension von Wissen gerecht werden kann.
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