Derzeit stehen einer grassierenden Wissenschaftsfeindlichkeit – von organisierter Klimawandelleugnung bis radikaler Impfskepsis – ein teils naiv, teils bewusst autoritärer Positivismus gegenüber. Beide befördern und zementieren ein unrealistisches Bild »der Wissenschaft« sowie eine idealistische Erkenntnistheorie. Dagegen plädiere ich in diesem Vortrag für eine realistische Betrachtung wissenschaftlicher Praktiken mithilfe einer materialistischen Erkenntnistheorie.
Realismus und Materialismus bedeuten dabei zunächst nicht mehr, als die Vielfalt der Wissenschaften (Pluralität), die Geschichtlichkeit ihrer Praktiken (Historizität) und die Einbettung ihrer Erkenntnisse in institutionelle Zusammenhänge (Kontextualität) anzuerkennen. Diese drei einfachen Schritte müssen allerdings sorgfältig so gegangen werden, dass sie das von den Verherrlicher_innen immer wieder beschworene Schreckgespenst eines Relativismus mit guten Gründen exorzieren können. Dazu bedarf es einerseits begrifflicher Argumente gegen die im Relativismusvorwurf versteckten Idealisierungen von Wahrheit, Wissen und Wissenschaften. Andererseits muss man gegen die im Relativismusvorwurf ebenfalls versteckte Sorge um die epistemische Autorität der Wissenschaften zeigen, dass das realistische Verständnis wissenschaftlicher Praktiken und die mit ihm einhergehende materialistische Erkenntnistheorie den Verleugner_innen keinen Fußbreit entgegenkommt.