Diskussion eines alternativen Verständnisses von Wahrheit als Kraft, die in sozialen Praktiken emergiert.
In diesem Vortrag stelle ich einen ersten Versuch zur Diskussion, ein Verständnis von »Wahrheit als Kraft« und damit als plural und agonal zugleich zu formulieren. Dazu gehe ich in vier Schritten vor: Die Vorstellung von Wahrheit als eine Art von Kraft wird bereits von sprachphilosophischen Überlegungen und rhetorischen Theorien angedacht, wenn auch nicht ausgearbeitet (I). Nachdem ich der Formel so ihre Exotik genommen habe, werde ich drei Beispiele vorstellen, die Wahrheitspraktiken mit all ihrer Komplexität im Recht, in der Wissenschaft und in der Politik beschreiben. An ihnen entwickle ich meinen Vorschlag, Wahrheit als Kraft durch ihre Emergenz aus prekären Konfigurationen, ihre Schwäche im Vergleich zu anderen Kräften wie Affekten oder physische Gewalt, ihre exklusive Wirkung auf Subjektivitäten und ihren historisch disruptiven Effekt zu bestimmen (II).
Auf Basis dieses Vorschlags setze ich im dritten Schritt das Verständnis von Wahrheit als Kraft ins Verhältnis zu drei prominenten Wahrheitstheoriefamilien (Korrespondenz, Kohärenz, Unverborgenheit), um herauszuarbeiten, dass ein Verständnis von Wahrheit als Kraft zwar tatsächlich dazu führt, Wahrheit zugleich als plural und agonal verstehen zu können, aber von sich aus noch keine Festlegung auf eine bestimmte Wahrheitstheorie beinhaltet (III). Zuletzt fasse ich noch einmal zusammen, inwiefern die Erläuterung der Formel »Wahrheit als Kraft« zu einem Verständnis von Wahrheit als zugleich plural und agonal führt, ohne in Relativismus abzugleiten (IV).