»Verantwortung« gilt zugleich als unverzichtbarer Begriff der Moral, als neoliberale Technik zur Individualisierung gesellschaftlicher Probleme und als heillos diffus. Mit Blick auf die Praktiken der Arbeiten, zu denen ich sowohl Lohnarbeitspraktiken als auch die Praktiken des Sozialstaats rechne, werde ich gegen die beiden bekanntesten Diagnosen einer »Diffusion« und einer »Individualisierung« von Verantwortung argumentieren. Sie entpuppen sich als einseitig, wenn nicht falsch, sobald man neben dem Wandel der Praktiken der Arbeit auch den Wandel des Verantwortungsbegriffs selbst in den Blick nimmt. Dann wird ein neuer Verantwortungsgebrauch sichtbar, der eine in der Theorie oft als analytisch geltende Annahme widerlegt: dass Verantwortung Handlungsmacht voraussetzt. Der neue Gebrauch von »Verantwortung« intensiviert den Selbstbezug von Verantwortungsträger_innen und verringert systematisch ihre Handlungsmacht, indem er die Machtasymmetrien zwischen ihrer Subjektposition und jener der Verantwortungszuschreiber_innen verschärft. Diesen Wandel des Gebrauchs von »Verantwortung« nicht zu erkennen, führt nicht nur zu einseitigen Diagnosen, sondern auch zu einer von ihnen angeleitete Gesellschaftskritik, die unversehens einer paternalistischen Neuordnung der Gesellschaft das Wort redet.
Ihr Verständnis der Soziologie als einer Instanz der kritischen gesellschaftlichen Selbstreflexion hat die Frankfurter Soziologie weltweit bekannt gemacht, und auch heute noch ist das (inter-)nationale Bild der Frankfurter Soziologie hiervon geprägt. Die AG Kritische Soziologie, die sich vor einigen Jahren aus einer Kooperation von Industrie- und Organisationssoziolog*innen am IfS (Institut für Sozialforschung) und am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften heraus entwickelt hat, will auch im Jubiläumsjahr der Soziologie 2019 ihre erfolgreiche Vortragsreihe »Kritische Soziologie« fortführen.
15. Mai 2019 - Dr. Susanne Martin, Justus-Liebig-Universität Gießen
Begrenzte Möglichkeiten. (Kritische) Intellektuelle der Gegenwart
5. Juni 2019 – PD Dr. Stephan Voswinkel, IfS
Entfremdung und Aneignung in der Arbeit
3. Juli 2019 – Dr. Doris Schweitzer, Justus-Liebig-Universität Gießen
Naturverhältnisse im Recht. Überlegungen zum kritischen Potential der Rechte der Dinge
Koordinator*innen:
Prof‘in Dr. Birgit Blättel-Mink; Dr*in Friedericke Hardering; PD Dr. Stephan Voswinkel; Dipl. Soz. Luigi Wenzl