Abstract
Dramatische Meldungen über spektakuläre einzelne Unwahrheiten in der Politik (wie Donald Trumps Rat, sich Desinfektionsmittel gegen Covid-19 zu spritzen) ebenso wie die beunruhigend normalen, kleinen Unwahrheiten in der Politik (wie die alljährlichen Polizeiberichte zu den Vorfällen in deutschen Silvesternächten) gehören inzwischen zur Normalität – und werden gleichwohl skandalisiert. Angesichts der Fülle von Halbwahrheiten, „fake news“ oder „bullshit“ wird seit 2016 gerne behauptet, wir würden in einem „postfaktischen Zeitalter“ leben, in dem Wahrheit keinerlei Wert mehr besitze.
In dem Vortrag kritisiert Frieder Vogelmann die vorschnelle und ungenaue Diagnose eines „postfaktischen Zeitalters“ und zeigt, warum sie trotz offenkundiger Probleme dennoch so beliebt bleibt: Weil sie sich trefflich als intellektuelle Waffe in politischen, wissenschaftlichen und medialen Konflikten eignet. Wie aber sollten wir mit Unwahrheiten in der Politik umgehen, wenn wir uns nicht mit der falschen Diagnose eines „postfaktischen Zeitalters“ gemein machen wollen?